Fischsuppe
1981 | Bielszowice 1/3
Es ist die erste Weihnacht ohne Großvater Stanisław. Wahrscheinlich wären wir ohnehin nicht nach Wrocław gefahren. Meine Mutter bereitet die Speisen vor – Fisch in Gelee, Rosinen mit Mohn. Sie zieht uns die feinen Sachen an. Die Karpfen, die vor Tagen noch lebendig in der Badewanne bei Oma Wanda wässerten, schwimmen nun im Kochtopf und alles ist vorbereitet für den Heiland, der zeitgleich mit dem Polarstern eintreffen wird. Jeden Moment kommt der Vater durch die Tür. Seit Tagen hat er kein Tageslicht mehr gesehen vor lauter Schichtarbeit untertage. Zwischen Fischsuppe und Frisur ist noch genug Zeit, um die Zenit rauszuholen und uns posieren zu lassen und später alle zusammen noch mal. Die Herzen schlagen anders, die Herzen schlagen höher an diesem Tag, und außerdem wurde vor einigen Tagen der Kriegszustand verhängt, doch wir, die Kinder, merken nicht viel davon. Reisen ist jetzt komplizierter und es gibt eine nächtliche Ausgangssperre – stille Nacht, aber wir halten nichts von diesen Regeln. Vor drei Wochen feierte mein Vater die heilige Barbara auf offener See und jetzt darf man das Land nicht verlassen. Seine Augen sind von Kohlenstaub gezeichnet, was ich auf einem der Fotos zu erkennen glaube. Obwohl wir nur zu viert sind, steht ein fünfter Teller auf dem Tisch. Jedes Jahr stellen wir einen extra Suppenteller zu den unseren, falls ein müder Gast bei uns anklopfen würde – ganz im Sinne der Nächstenliebe.