Józek
1984 | Bielszowice 1/2
Das Meisteralbum meiner Mutter bestand hauptsächlich aus klassischen, gestellten schwarzweißen und farbigen Porträtaufnahmen im Fotostudio, aus einigen Architekturfotos, die sie in der Altstadt von Kraków aufgenommen hat und einem freien Teil, der den Mensch bei der Arbeit zeigen sollte, aber die Fotos fehlten. Ich fand das Album stark verschmutzt und lückenhaft auf dem Dachboden. Auf der ersten Seite eine handschriftlich säuberliche Auflistung der Themen und Techniken. Für die freie Arbeit wollte sie vorzugsweise in ein Stahlwerk, wo sie den Arbeiter bei seiner Tätigkeit und den schmelzenden Stahl, der sie faszinierte, fotografisch hätte erfassen können. In Wirklichkeit hatte sie diese Idee nie realisiert, wahrscheinlich kam ein Termin wegen der hohen Arbeitsbelastung einer berufstätigen und erziehenden Mutter nicht zustande. Stattdessen fand ich alternative Aufnahmen, die einen Baggerführer und sein Fahrzeug zeigen. Ich war sehr überrascht und froh, diesen zerfledderten Film dreißig Jahre nach seiner Belichtung wiedergefunden zu haben.
Die damaligen Aufnahmen dauerten nicht länger als ein paar Minuten. In dieser Zeit zeigt unser Nachbar Józek, wie sein Bagger, der von einem vom Antrieb des Fahrzeugs angetrieben wird, funktioniert. Eigens für diese Aufnahmen montiert er freundlicherweise die Heckscheibe des Baggers ab, um störende Reflexe zu vermeiden. Die Fotografin klettert während der kurzen Session sogar auf das Fahrzeug, um eine Nahaufnahme zu erhaschen. Ein Zoomobjektiv hat sie nicht, stattdessen benutzt sie ein Pentacon-Weitwinkel 2,8/29 und belichtet einen ORWO COLOR S NC19/36. Der Film gibt heute kaum noch Farbinformationen her. Die Fotos gehören zu meinen Lieblingsbildern. Mit etwas Phantasie ist die Serie als Tanz mit dem Bagger interpretierbar. Der Tänzer kann sowohl der Baggerführer selbst als auch die Fotografin sein. Rasche Perspektivwechsel um den sich drehenden Bagger, eine Schaufel in Bewegung und Aufnahmen vom Bagger selbst zeigen eine leidenschaftliche Fotografie mitten aus der sozialistischen Realität.